1. Produkt und Produktionsgeschehen
I. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, im System der Darstellung der natürlichen Zahlen an unendliche Zeichenfolgen heranzuführen. Die Menge endlicher Zeichenfolgen, so wie sie diesen natürlichen Zahlen zugrunde liegen, läßt sich auf verschiedene Weise ordnen. In jedem Fall geht dabei aber die Reihenordnung dieser Zahlen verloren. Das ist schon das ganz Besondere an diesem System, daß darin verschiedene Ordnungssysteme in einer – einzigen – Reihenordnung „aufgehoben“ sind. Liegt diese Reihenordnung vor, dann kann man diese nämlich nach verschiedenen Prinzipien „neu-„ordnen. Dann „greifen“ auch wieder einschlägige Formalismen. Ein Stoff, der vorliegt, läßt sich nach gängigen formalen Kriterien untersuchen und ordnen. Dazu muß der Stoff aber auch erst einmal vorliegen. Formalisierungen beziehen sich grundsätzlich auf Gegebenes. Das sind alles Analysen am gegebenen Objekt, und insoweit ist so etwas auch eine statische Angelegenheit. Es ändert sich nichts, es kommt nichts hinzu, es kommt aber auch nichts weg.
Woher kommt dieses Gegebene aber? Diese Frage stellt sich insbesondere bei unendlichen Mengen wie der Menge der natürlichen Zahlen, die ihre Existenz notwendig einem bestimmten, systematisch (fort-)geschriebenen Verfahren verdanken. Eine unendliche Menge läßt sich nicht willkürlich Element für Element bereitstellen. Da helfen auch keine Formalismen weiter. Formales ist immer abstrakt; es ist analytisch a posteriori. Es kann nur an Gegebenem ansetzen. Werdendes ist dagegen immer synthetisch a priori. Es ist allein seinem Produktionsverfahren verpflichtet; es ist damit immer auch ganz konkret. Und es ist auch dauerhaft diesem Produktionsgeschehen verbunden. Es geht nicht einfach im – dann – produzierten Gegebenen auf. Von diesem Produktionsgeschehen läßt sich nicht abstrahieren.
Das ist die große, allgegenwärtige Versuchung, dieses Werdende vom gewordenen Ganzen her anzugehen. Zwangsläufig bietet sich uns dabei nur ein beschränkter Blick auf das Geschehende und das Geschehene. Das Wissen darüber, was alles zu einer Menge gehört, klärt uns nicht auch schon darüber auf, wie es zu dem allen hat kommen können. Wenn man weiß, was alles natürliche Zahl ist, weiß man noch nicht, wie wir zu allen diesen Zahlen kommen. Das ist dann eine ganz andere Geschichte.
Davon wird in der Mathematik aber gänzlich abgesehen. Es wäre vermessen zu meinen, dieses Geschehen wäre mathematisch bedeutungslos. Natürlich ist das Produktionsgeschehen auch für das Produzierte von Bedeutung. Ohne dieses Geschehen gäbe es schließlich auch nicht das Produkt. Das gilt insbesondere in mathematischen Dingen, in denen deren „Materielosigkeit“ wegen x-beliebige Verfahren eine ungleich größere Bedeutung als in materiellen, physikalischen Prozessen haben, bei denen am Ende zumeist tatsächlich nur interessiert, was „herauskommt“, nicht aber wie es „herausgekommen“ ist. Es interessieren dann nur die Produkteigenschaften, und dies sind im allgemeinen auch produktionsunabhängige Eigenschaften.
In vielen Fällen weiß man im übrigen auch nicht, was eigentlich passiert ist. Chemische Reaktionen verschließen sich uns weitgehend in dem, was dabei eigentlich vor sich geht. Immerhin ist man inzwischen bemüht, diese Vorgänge immer genauer aufzuklären. Die Reaktionsmechanismen interessieren schon auch. Aber auch dabei ist es noch so, daß dieses Interesse sich auch nur an irgendwelchen Zwischenprodukten orientieren kann. Bewegung bzw. Veränderung ist als Geschehen im Vollzug kein mögliches Objekt wissenschaftlichen Fragens.
Das gilt auch für das Verfahren zur Produktion der natürlichen Zahlen. Es werden im Vollzug dieses Verfahrens ständig neue Zahlen generiert. Es wird dabei von einer Zahl zur anderen fortgeschritten. Dazwischen liegt auch nichts. Es wird in mathematischen Dingen schließlich materiell in keinem Fall auch etwas bewegt. Die Mathematik ist so gesehen nicht von dieser Welt. Das Verfahren zur Darstellung der natürlichen Zahlen besteht aus einem Regelwerk, das uns sagt, wie mit einer – und sei es auch nur gedanklich – beliebig in Reihenfolge vorzugebenden endlichen Menge von beliebigen Zeichen umzugehen ist. Der Vollzug dieses Verfahrens ist der fehlenden physikalisch-materiellen Grundlegung wegen ein zeitloses Vorgehen. Nur aus diesem Grunde kann so ein Verfahren auch offen für Unendliches sein; es kann als ein unendliches Verfahren gedacht werden bzw. es ist als bestimmtes für Unendliches offenes Verfahren immer auch schon dieses unendliche Verfahren.
Wir haben dafür nichts zu tun, wir können dafür aber auch nichts tun. Wir können in so ein Verfahren nicht eingreifen, es sei denn, wir wollten das Regelwerk verändern. Das könnte man durchaus versuchen; wir können das aber auch nur, indem wir speziell dieses Verfahren zur Produktion der natürlichen Zahlen in seiner ganzen Vielfalt beschneiden. Es würde dann einfach nicht alles an endlichen „Linearkombinationen“ der vorgegebenen Zeichenmenge ausgeschöpft. Das wäre ein ganz unnatürliches Unterfangen, einfach weil die ausgeblendeten Zeichenfolgen, will heißen Zahlen nichtsdestoweniger weiterhin präsent sind und bleiben. Zweckmäßigerweise nimmt man das Verfahren schon so, wie es ist.
Es macht keinen Sinn, dabei mit irgendwelchen willkürlich eingeführten Restriktionen zu arbeiten Das macht umso weniger Sinn, als es dafür keine formalen mathematischen Kriterien gäbe. Alles, was dem Produktionsgeschehen der natürlichen Zahlen unterliegt, liegt jedwedem mathematischen Formalismus voraus. Das ist für die Mathematik dann auch kein Thema. Dementsprechend interessiert in der Mathematik dieses Verfahren zur Produktion der natürlichen Zahlen auch nicht. Davon ist in der Mathematik mit keiner Silbe die Rede. Dementsprechend farblos gestaltet sich dann auch der Übergang ins Unendliche dieser natürlichen Zahlen. Das ist für die Mathematik ein ziemlich nichtssagendes Geschehen. Alles, was die Mathematik dazu zu sagen hat, ist dies, daß es sich dabei auch um ein unendliches Verfahren, und d. h. auch nicht mehr und weniger als um ein nicht-abbrechendes Verfahren handelt.
Es ist dies das Minimum dessen, was es dazu nun einmal zu sagen gibt. Zwangsläufig geht das auch mit dem Verlust aller Informationen über das Geschehen im Unendlichen einher. Dabei ist auch das ein Geschehen, daß sich im Rahmen des Regelwerkes des Produktionsverfahrens für diese natürlichen Zahlen abspielt. Diese Regeln verlieren im Unendlichen dieses Verfahrens schließlich nicht ihre Gültigkeit. Das Regelwerk ist das ganze Verfahren über dasselbe. Und damit läßt sich das Verhalten der diese natürlichen Zahlen darstellenden Zeichenfolgen im Unendlichen schon auch hochrechnen. ist dann nicht weiter die farblose Angelegenheit, die sie in der – formalen – Analysis ist. So zeigt sich diese formale Analysis auch völlig unberührt von allen Fragen von Zahldarstellung.
Daß natürliche Zahlen ihre Darstellung als endliche Zeichenfolgen aus einer vorgegebenen bzw. vorzugebenden in Reihe geordneten endlichen Zeichenmenge finden, davon weiß diese Analysis sozusagen nichts. Die natürlichen Zahlen der Analysis bestehen aus Buchstaben wie vorzugsweise n oder m ergänzt gegebenen- bzw. erforderlichenfalls durch Indizierungen aus bestimmten Indexmengen. Als Mengen dieser Art kommen in der klassischen Analysis jedenfalls aber auch nur in Reihenfolge geordnete Mengen in Betracht. Folgen und Reihen als das klassische Instrumentarium der mathematischen Analyse setzen nun einmal auf Reihenfolge. Mit der Unendlichkeit der natürlichen Zahlen läßt sich operieren, ohne für diese Zahlen auch eine Darstellung zu haben: , das ist die Indexfolge unendlicher Folgen oder Reihen.
Die ganze Analysis ist formaler Natur. Der ganze mathematische Formalismus gestaltet sich unabhängig von Fragen konkreter Zahldarstellung. Gerade davon wird in diesem Formalismus abstrahiert. Was geht dabei aber verloren? Verloren geht dabei alles, was mit der Produktion so einer Menge zu tun hat. Das Produktionsgeschehen irgendwelcher Art kann nicht Stoff irgendwelcher Formalisierungen sein. Das Produktionsverfahren ist nun gerade auch für unendliche Mengen konstitutiv. Ohne so ein Verfahren gäbe es nichts wie Unendliches. Und das Verfahren zur Produktion der natürlichen Zahlen ist das einzige unendliche Verfahren von einer differenzierten Struktur. Da wird dann nicht einfach immer nur ein und dasselbe Zeichen aneinandergereiht, so wie es den Modellvorstellungen dieser Zahlen in Mathematik und Philosophie entspricht. Das ist ein mengentheoretisches Modell, in das das Phänomen Reihenfolge nicht auch in konstitutiver Weise einfließt. Alle Elemente unterscheiden sich nur in der Anzahl, in der sie dieses eine Zeichen enthalten. Abgeschlossen wird diese Menge von der einen Zeichenfolge, die dieses eine Zeichen unbegrenzt oft enthält.
Fraglich ist, inwieweit dieses Verfahren auch alle Charakteristika eines unendlichen Verfahrens erfüllt. Die diesbezüglichen Standards werden dafür einfach von den natürlichen Zahlen in der diesen Zahlen natürlichen Darstellung gesetzt. Gesetzt sind dadurch differenzierte Standards, denen das einfache mathematisch-philosophische Modell gerade im Unendlichen nicht mehr nachkommt. In der klassischen Darstellung wird einfach bis zuletzt an endlicher Darstellung festgehalten. Da wird weiter auch im Unendlichen dieses Verfahrens differenziert und strukturiert vorgegangen. Das Regelwerk dieses Verfahrens trägt und überdauert auch das ganze Grenzwertgeschehen. Eine unendliche Menge von endlichen Zeichenfolgen, so wie wir sie für eine unendliche Menge natürlicher Zahlen auch benötigen, läßt sich nur auf diese Weise sicherstellen. Dazu muß im Unendlichen so eines Verfahrens auch alles Unendliche an Zeichenfolgen auf Distanz gehalten werden (können).
II. Das Modell der natürlichen Zahlen in Mathematik und Philosophie wird dem beschriebenen Anspruch nicht gerecht. Das reguläre, klassische Modell ist der Vielfalt (vor-)gegebener Zeichen wegen auch von einer besonderen Dichte. Es geht – wenn man so will – dieses Modell nicht nur in die Länge sondern auch in die Breite. Die Menge von Zeichenfolgen einer ganz bestimmten Länge, und d. h. Anzahl gesetzter Zeichen umfasst in diesem Modell nicht nur ein einziges Element sondern eine ganze Menge solcher Folgen. Je mehr Zeichen gesetzt sein dürfen, umso umfangreicher gestaltet sich so eine (Teil-)menge auch. Dabei läßt sich einfach nach der Position variieren, die ein jedes zur Verfügung stehende Zeichen in so einer Zeichenfolge besetzt halten kann, und mit zunehmender Anzahl solcher Positionen wachsen entsprechend auch überproportional die verschiedenen Möglichkeiten der Besetzung solcher Folgen. Durchspielen läßt sich das – wie gesehen – am besten mit – nur – zwei verschiedenen Zeichen. Die ganze Menge der Zeichenfolgen dieses Systems ließe sich dann als Kegel räumlich anordnen mit der Null als Kegelspitze und allen Zeichenfolgen von einer bestimmten Länge auf den einzelnen Kegelebenen.
Das ganze wäre eine nach unten offene Veranstaltung. Jede einzelne Folge fungiert dabei als Verzweigungspunkt beim Übergang von einer Ebene zur nächstgelegenen Ebene darunter. Der grenzwertweise Abschluß der ganzen Veranstaltung wäre dabei von allen nur möglichen unendlichen Zeichenfolgen gesetzt. Keine dieser Zeichenfolgen steht – noch – für eine natürliche Zahl. Es wird in diesem Verfahren auch keine dieser Zeichenfolgen jemals erreicht. Diese Zeichenfolgen haben einfach Grenzwertcharakter im klassischen mathematischen Sinne. Wir kommen jeder dieser Folgen im Verfahren beliebig nahe, sie wird nur nicht auch – zur Gänze – erreicht, und d. h. angenommen. Grenzwertmenge des Verfahrens zur Produktion der natürlichen Zahlen sind alle diese unendlichen Zeichenfolgen. Und davon gibt es offenbar dann auch mehr als es natürliche Zahlen gibt. Ganz am Schluß trennen sich offenbar die Wege. Diese unendlichen Zeichenfolgen gehen alle aus einer Serie ständig erweiterter endlicher Zeichenfolgen hervor. Zum Schluß ist es offenbar aber nicht mehr der einzelne, sich ständig von Verfahrensebene zu Verfahrensebene verzweigende Strang, der auch – nur – zu der einen, ganz bestimmten unendlichen Zeichenfolge führen würde.
Das Verzweigungsgeschehen am Schluß entzieht sich unserer differenzierten Analyse. Auf die einzelne – fertig gedachte – Zeichenfolge gesehen ist es so, daß am Schluß einfach unendlich viele Zeichen auf einmal gesetzt werden (müssen), selbst wenn verfahrenstechnisch dafür gesorgt ist, daß das dennoch wirklich auch nur Zeichen für Zeichen geschieht. Bei nur einem zur Verfügung stehenden Zeichen haben wir eine reine Reihenentwicklung ohne jedwede Verzweigung. Die Nicht-Abzählbarkeit der daraus hervorgehenden Menge von Zeichenfolgen resultiert dann einfach daraus, daß wir in diesem Fall eine Menge vorliegen haben, die alle natürlichen Zahlen selbst, sowie noch eine weitere, der Anzahl ihrer Elemente nach unbestimmte, in jedem Fall aber nicht-endliche Menge von Elementen enthält.
Der Schritt von Endlichem zu Unendlichem ist einfach ein analytisch nicht einholbarer Schritt. Dieser eine Schritt läßt sich nicht in viele kleine Einzelschritte zerlegen. Diesen Schritt kann man in der Gesamtheit seiner Teilschritte nur einmal setzen oder man läßt es bleiben. Er würde in jedem Fall die ganze Aufmerksamkeit eines ganzen unendlichen Verfahrens erfordern. Im Unendlichen läßt sich auch nicht nach (Teil-)unendlichkeiten differenzieren. Im klassischen Mehrzeichen-System gestaltet sich die Situation noch sehr viel komplexer. Hier wird ständig verzweigt und bleibt nicht alles einfach auf Linie. Jeder Punkt resp. Zeichenfolge ist Verzweigungspunkt im System und so mit seiner ständigen Auflösung konfrontiert. Bis zum Schluß läßt sich das ganze noch auf Linie halten; zuletzt aber im Grenzübergang überwiegt dann offenbar aber der Zerfall.
Die einzelne unendliche Zeichenfolge läßt sich nicht mehr einem bestimmten Verzweigungsstrang zuordnen. Diese feste Zuordnung besteht nur im endlichen Bereich. Die nicht mehr kalkulierbare bzw. rekonstruierbare Vielzahl der Schritte am Ende läßt uns so eine Zuordnung aus dem Auge verlieren. Aus demselben Grunde auch wie beim einfachen Einzeichen-System erweist sich deswegen die Menge aller unendlichen Zeichenfolgen als eine nicht-abzählbare Menge. Im einen wie im anderen Fall scheitert so etwas an der Unmöglichkeit, Grenzwertübergänge analytisch einzuholen. Das ist einfach die Grauzone, in die kein menschlicher Verstand einzudringen und vorzudringen vermag. Gleichwohl ist diese Grauzone zur Schaltstelle der ganzen Mathematik geworden.
Die Operation ist zu der mathematischen Aktion schlechthin geworden. Immer wenn es ans sozusagen Eingemachte geht wird in Mathematik und Physik differenziert und integriert. Auch die reellen Zahlen sind in dieser Zone gegründet und begründet. Die Beziehung, so wie sie in der Formel: ihren Ausdruck findet, ist für die rechte Seite dieser Beziehung, und d. h. ist für die reellen Zahlen konstitutiv. Wir kommen an die – Gesamtheit der – reellen Zahlen nur auf diese Weise heran. Diese Beziehung darf also nicht einfach – nur – in der Weise „missbraucht“ werden, daß wir uns von ihr der – Existenz der – reellen Zahlen nur versichert sein lassen, um anschließend – wieder – ganz so zu tun, als gäbe es diese reellen Zahlen, so wie sie in ihrer Bruchdarstellung beschrieben sind, einfach „so“.
In der Mathematik hat das bekanntlich Tradition. Dort wird auf die natürlichen Zahlen in ihrer – natürlichen, und im übrigen auch einzigen „funktionierenden“ – Darstellung als Folge (von Zeichenfolgen) 1, 2, 3, … als etwas Gegebenes verwiesen. Von dem Verfahren, das dieser Darstellung zugrunde liegt, wird dabei gänzlich abstrahiert. Aber auch hier gilt, und man sieht das in diesem – einfacheren – Fall auch noch sehr viel deutlicher: Man kann in dieser Darstellung nicht von dem dieser Darstellung zugrunde liegenden Verfahren absehen. Verfahren und Darstellung als das, was aus diesem Verfahren hervorgeht bzw. was durch dieses Verfahren auch erst ermöglicht wird, gehören dann untrennbar zusammen. Das Verfahren aufheben hieße dann notwendig zugleich auch auf die Darstellung verzichten. Das eine liegt dem anderen notwendig voraus, wie das andere auch ohne das eine nicht gedacht werden kann. Das eine zieht das andere aber auch notwendig nach sich. Umgekehrt kommt Darstellung „im unendlichen Fall“ ohne Verfahren nicht aus. Und Darstellung muß schließlich auch sein. Zahlen gibt es nur gegen Zahldarstellung.
Das gilt unabhängig von der Frage nach der (meta-)physischen Realität von Zahlen. Auch eine nur rein gedankliche Beschäftigung mit Zahlen kommt ohne so eine Darstellung – im weiteren Sinne – nicht aus. Im Minimalfall stellen wir uns natürliche Zahlen einfach nur als Strichchen-Folgen vor. Der mathematische Formalismus spiegelt insoweit nur bedingt die – materiellen – Notwendigkeiten im Umgang mit Zahlen wider. Von natürlichen Zahlen ist dort einfach nur im – formal-abstrakten – Symbol die Rede. Das kann man tun, wenn man nur an den allgemeinen Strukturen einer Zahlenmenge interessiert ist. Dann interessiert konkrete Zahldarstellung nicht nur nicht, sie würde sogar stören. Etwas, was allgemein für beliebige Zahlen aus so einer Zahlenmenge gilt, stellt man am besten bzw. stellt man notwendig auch allgemein dar, und d. h. man stellt es in Symbolen dar, die gerade keine Verwendung zu konkreter Zahldarstellung finden. Es darf und sollte dies nur nicht darüber hinwegtäuschen, daß wir in der – materiellen – (Zahlen-)realität auf ein System von Darstellung angewiesen sind.
III. Der mathematische Formalismus gestaltet sich weitgehend frei von solchen Darstellungs- fragen. Das ist für die Mathematik kein Thema. Das Verfahren zur Darstellung der natürlichen Zahlen wird in der Mathematik nicht thematisiert. Dazu wird nichts gesagt. Es wird von den natürlichen Zahlen ganz wie von selbstverständlich in dieser diesen Zahlen eigenen – natürlichen – Darstellung Gebrauch gemacht. Dabei verdient dieses Verfahren durchaus alle Aufmerksamkeit, ist doch dieses Verfahren allein auskunftsfähig, was das Verhalten der natürlichen Zahlen im Unendlichen anbelangt. Das kann man sich nur von diesem Verfahren sagen lassen. Der mathematische Formalismus stößt da an seine Grenzen. Dieser Formalismus beschränkt sich diesbezüglich in seinem Informationswert auf die Feststellung, daß es sich bei diesen natürlichen Zahlen um eine unendliche Menge handelt: .
Gemeint ist damit auch nur, daß das mit den natürlichen Zahlen kein Ende findet. Es gibt – anders gesagt – keine letzte bzw. abschließende natürliche Zahl in der Reihenfolge aller dieser Zahlen. In der formalen Sprache moderner, systematischer und axiomatischer Entwicklung resp. Begründung von Analysis liest sich das so: Es heißt dort (in prosaischer Übersetzung sei das gesagt), daß die natürlichen Zahlen in ihrer breiten Masse jede obere reelle Schranke überbieten. Das ist ein nur sehr ungefährer Umgang mit Unendlichkeit. Dabei kann man sich in dem Äquivalenzklassen-Modell von natürlichen Zahlen, so wie es im Strichchen-System als einem ausgewählten System von Repräsentanten aus der jeweiligen Äquivalenzklasse nicht einmal der Unendlichkeit der natürlichen Zahlen sicher sein. Feststeht, daß dieses System im Unendlichen aus den natürlichen Zahlen, und d. h. aus dem System endlicher Strichchen-Folgen herausfällt. So gesehen steht die Mathematik in dieser Hinsicht auf tönernen Füßen. Anders gesagt: Das klassische System der Darstellung natürlicher Zahlen ist für diese Zahlen, und ist mithin auch für die ganze Mathematik konstitutiv. Darüber aber wird einfach im mathematischen Formalismus hinweggesehen.
Halten wir also fest: Den natürlichen Zahlen ist das System bzw. das Verfahren, in dem sie ihre Darstellung finden, wesentlich. Es ist dies auch ein einziges System. Es gibt dazu keine Alternative. Wir können mit anderen Worten im Umgang mit natürlichen Zahlen nicht von diesem System resp. Verfahren abstrahieren. Wir können uns insbesondere diese Zahlen nicht durch dieses System bzw. von diesem System einfach gegeben sein lassen, um anschließend so zu tun, als hätte uns dieses Verfahren nicht zu interessieren. Wir haben schließlich Zugriff auf diese Zahlen nur so, wie uns dieses Verfahren diese Zahlen auch präsentiert. Schließlich sind die Eigenschaften der natürlichen Zahlen die Eigenschaften der Zeichenfolgen, so wie sie aus diesem Verfahren hervorgehen. Anderes steht uns auch nicht zur Verfügung. Und Eigenschaften für sich genommen sind nichtssagend, solange sie nicht als Eigenschaften irgendwelcher Dinge nachgewiesen sind.
Deswegen ist in – den – eigenschaftsfixierten axiomatischen Begründungen abschließend immer auch ein Existenz- bzw. Eindeutigkeitsbeweis zum Nachweis dafür, daß es etwas von der besagten Art auch gibt, und zweckmäßigerweise auch genau – nur – einmal gibt, zu führen. Eigenschaften lassen sich nicht losgelöst von dem, wovon Eigenschafen Eigenschaften sind, betrachten. Eigenschaften sind für sich genommen nicht existenzfähig. Eigenschaften haften immer irgendwelchen Dingen an. Wenn wir mit Zahlen rechnen, dann handelt es sich dabei ausnahmslos um – bereits – produzierte Zahlen. Das Produktionsgeschehen als solches liegt dann bereits hinter uns. Das heißt allerdings nicht, daß wir im Umgang mit diesen Zahlen von diesem Produktionsgeschehen unabhängig wären. Zahlen treten uns so gegenüber wie sie aus diesem Produktionsgeschehen hervorgehen.
Sicher, die Produktion ist dann wie gesagt – schon – abgeschlossen; und solange etwas nicht produziert ist, kann man damit auch nicht umgehen. Unberührt bleibt davon die Feststellung, wonach die Existenz von Zahlen eine Frage ihrer Produktion ist. Zahlen wird es nur geben können, wenn es auch das Verfahren gibt, das Zahlen bzw. das, was wir als Zahlen ansehen, hervorbringt. Im endlichen Bereich ist insoweit auch nicht zwischen Produktion und Produkt zu unterscheiden. Wir können uns – und werden uns – da natürlich an das fertige Produkt halten. Zwangsläufig tritt damit bzw. dadurch die Produktion in den Hintergrund. Zweifelsohne hat das auch eine Entwicklung begünstigt, die letztendlich dazu geführt hat, über dem Produkt ganz auch die Produktion zu vergessen. Das Produkt geht zwar zweifelsohne aus der Produktion hervor, ist es aber einmal produziert, dann steht es schon auch für sich allein.
Die Existenz der einzelnen – endlichen – Zeichenfolge besteht unabhängig von so einem Verfahren. Die 73586 beispielsweise gibt es nicht – nur – weil es das Verfahren zur Darstellung der natürlichen Zahlen gibt. Anders verhält es sich mit der Gesamtheit der natürlichen Zahlen. Diese Zahlen werden nie alle komplett aufgeschrieben werden können. Diese Zahlen gibt es in dieser Gesamtheit insofern nur als Programm bzw. im Programm. In der Realität, will heißen, mathematischen Wahrnehmung kommt das allerdings nicht so an. Es wird dort nicht so – genau – differenziert. Es wird dort mehr in den Kategorien des fertigen Produktes als in den Modalitäten des Erst-noch-auf-den-Weg-zu-Bringenden gedacht. Auf das Produktionsverfahren wird da – überhaupt – nicht gesehen.
Unendliche (Zahlen-)mengen existieren als Menge von Elementen einer gewissen – systematischen – Bauart. Daß es dabei auch ein Produktionsproblem geben könnte, daran wird einfach nicht gedacht. Offenbar macht man sich dabei – wenn auch unbewusst – eine Eigenschaft von Unendlichem zunutze, die Eigenschaft nämlich, auch nur als Abgeschlossenes gedacht werden zu können. Unendliches, das erst noch im Entstehen begriffen wäre, gibt es nicht. Es gibt Unendliches nur als fertiges Unendliches. So etwas kann natürlich dazu verleiten, auf das Verfahren als solches auch nicht weiter zu sehen. Wir haben auch – mental – kein Problem damit, uns eine unendliche Menge unbeschadet aller ihrer Unendlichkeit, und d. h. Nicht-Abgeschlossenheit auch als etwas Abgeschlossenes zu denken. Alle diese unendlich vielen Zeichenfolgen stellen wir uns dann samt und sonders als produziert, also aufgezeichnet vor.
Auch damit bzw. dadurch tritt das Verfahren, das hinter allen diesen Folgen steht, in den Hintergrund. Die Tatsache, daß diese Folgen in ihrer Gesamtheit in der Zeit von nichts und niemandem realisiert werden können, fällt demgegenüber nicht ins Gewicht. Wir gehen in diesem Fall einfach von einer imaginären, augenblicklichen Aufzeichnung auf. Ein eigener, materieller Vollzug Zeichen für Zeichen findet dabei nicht – mehr – statt. Nur unter dieser Voraussetzung auch kann es Unendliches – in unserer Vorstellung – geben. In Raum und Zeit kann es zu Unendlichem nicht kommen.
Dafür wäre – im Seinssinne – dann nicht die Zeit und offenbar auch nicht der Raum. Unsere Wahrnehmung von Unendlichem ist demzufolge – auch – so, daß dadurch der Vorstellung von Unendlichem als etwas Gegebenem Vorschub geleistet ist. Daß unendliche Mengen niemals – explizit-materiell – produziert sein können, weil dem – wie gesagt – die endliche Zeit und der endliche Raum entgegenstehen, dringt dabei in unserer Vorstellung nicht durch. Die Verfahrensabhängigkeit von Unendlichem tritt hinter dessen – notwendig auch gedachter – Abgeschlossenheit zurück, einer Abgeschlossenheit, die notwendig als Abgeschlossenheit produzierter Zeichenfolgen realisiert wird. Damit findet sich dann einfach der Unterschied zwischen Endlichem und Unendlichem vermischt, und d. h. Unendliches wird nicht anders wahrgenommen als Endliches auch.
Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang, daß Endliches in den wenigsten Fällen in der Mathematik auch seine explizite materielle Reproduktion findet. Soviel wird in der Mathematik nicht geschrieben. Da heißt es dann in der Summation etwa auch immer nur 1, …, n. Bei unendlichen Mengen bzw. Folgen heißt es dann einfach bzw. – besser – . Der prinzipielle Unterschied zwischen Endlichem und Unendlichem, daß nämlich Endliches noch innerhalb der Reichweite unserer (Re-)produktions- und (Re-)konstruktionsfähigkeiten liegt, findet sich so einfach verwischt. Er ist in allen Fragen von Unendlichkeit nichtsdestoweniger elementar. Unendliches zeichnet einfach aus, daß es außerhalb unserer Verfügung steht. Wir haben auf Unendliche keinen Zugriff. Wir können uns Unendliches nur geben lassen. Und gegeben werden kann es uns nur von einem Verfahren, das selbsttätig vollzieht, was von uns in der Zeit, Schritt für Schritt niemals umgesetzt werden könnte. Das Verfahren ist somit für alles Unendliche konstitutiv. Das Verfahren ist in diesen Fällen gewissermaßen alles.